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#w1 Der Freund krank


Kulturvollzug - digitales Feuilleton für München
Und jenseits der Schnellstraße keine Zukunft  

Abgesang auf eine Utopie: Mit Nis-Momme Stockmanns "Der Freund krank" mutet Alex Novak dem Publikum einen düsteren Monolog auf den Abstieg einer Stadt und das Ende unserer Träume zu. Man könnte einen alten Sponti-Spruch abwandeln: Goethe ist tot, Schiller ist tot, und Mirko geht es auch nicht mehr gut. Warum, weiß man nicht; er reagiert auf nichts mehr, liegt sich wund, hat sich irgendwohin zurückgezogen, an einen Ort vielleicht, der nicht ist. Nun muss ihn seine Freundin Nora wickeln und pflegen, während sie darauf wartet, sein Kind zur Welt zu bringen. Ohne ein Wort zu sagen, ist Mirko, einst der beste Freund des Erzählers, das Gravitationszentrum von Nis-Momme Stockmanns Bühnenerzählung "Der Freund krank".
Stockmanns Stück ist ein wütender Abgesang auf die Idee der Utopie. Die Figuren des Stücks leben in einer Stadt irgendwo in Nordrhein-Westfalen, wo alles den Bach runtergeht: Der größte Arbeitgeber, eine Aromafabrik, die einst den Wochentagen ihre Gerüche gab, hat dichtgemacht. Enttäuschungen, geplatzte Lebensentwürfe, das lähmende Gefühl der Sinnlosigkeit lasten schwer auf dieser Stadt, die man sich nur dunkelgrau vorstellen kann. Dass es irgendwo irgendwann besser sein könnte: von dieser Vorstellung haben sich offensichtlich die Menschen verabschiedet. Das Grundrauschen des Stücks kommt  von der nahen Schnellstraße, über die Lastwagen hin- und herfahren, um Waren von irgendwo her nach irgendwohin zu transportieren. Konsumwahn das alles, einen Sinn mag man auch darin nicht zu erkennen.
Die Besetzung von drei Schauspielern bei der Uraufführung im April 2012 am Schauspiel Frankfurt ist in Alex Novaks Inszenierung in der Halle 7 auf eine Akteurin zusammengeschnurrt. Katinka Maché spricht Erzähler, Nora und die Gedanken des Erzählers. Was wiederum klingt wie ein Botenbericht, als ob man die Stadt nicht zeigen könnte, eben weil sie ein Unort ist. Eine Ansammlung von Gebäuden, so austauschbar wie nur irgendeine andere und damit nicht mehr zu verorten.
Man hat am Anfang Mühe, dem Text zu folgen, Maché entledigt sich der Textmassen schnell, zu schnell, dass man jedes Wort verstehen könnte. Vielleicht ist das aber auch nicht weiter schlimm, denn vielleicht kommt es, von wenigen Augenblicken abgesehen, eher auf die düstere Atmosphäre an als auf eine konkrete Handlung, die sich hier auf wenige Umrisse beschränkt. Dieser Text klingt nach Müdigkeit und Alter und Zuvielgesehenhaben, er tut es, weil der an sich junge Autor Nis-Momme Stockmann das genau so will. Und weil man diese Absicht merkt, wirkt dieser Selbst-, Welt- und Konsumekel mitunter penetrant. Über zwei Stunden würde es wohl dauern, müsste ein Schauspieler dieses Textgebirge allein angehen.
Novak kürzt daher ab; manche Passagen laufen wie der Abspann eines Films über drei Wände (Bühne: Jörg Kiefel, Video: Thomas Tröger). Man kann diese Untergangsfuge ja insgesamt als Abspann ansehen, man kann dieses Textband aber auch als Referenz vor dem Autor an sich sehen: Es sind schließlich Worte, aus denen wir vier Wände und schließlich eine Stadt empormauern. Am Ende setzt sich Maché auf einen kleinen Verstärker und liest die letzten Zeilen einfach schnell und ohne weiteres ab. Man kann es auch so sehen: Auch ihr Bericht über diese verlorene Stadt und diese verschenkten Leben ist letztlich nur eine Erzählung, der wir postmodernen Menschen nicht mehr glauben.

︎ #w1 Der Freund krank 


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